Die Nacht der Feen by Ursula Isbel

Die Nacht der Feen by Ursula Isbel

Autor:Ursula Isbel [Isbel, Ursula]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-01-09T16:00:00+00:00


15

Die Feen schienen sich wieder in ihren Hügel zurückgezogen zu haben.

Im Haus herrschte Grabesruhe. Der Professor tauchte nur noch zu den Mahlzeiten auf. Ich glaube, er arbeitete sogar nachts, denn wenn ich aufwachte, sah ich durchs Fenster den Lichtschein aus seinem Arbeitszimmer.

Frau Zacherl hatte ein paar Tage Urlaub genommen und war zu einer kranken Cousine gefahren. Ich vermisste sogar das Röcheln ihres Staubsaugers. Vor allem aber vermisste ich Hendrik. Ich vermisste einen Fernseher und Menschen um mich herum, die Geräusche der Stadt, die ich von zu Hause in Nonnas Wohnung gewöhnt war.

Jeden Tag radelte ich jetzt nach Agathenried, setzte mich ins Café ›Windbeutel‹ und tröstete mich mit Schokoladeneis oder Nusstorte mit Sahne. Von dort telefonierte ich auch regelmäßig mit Nonna.

»Der verrückte alte Knabe scheint eine Schwäche für dich zu haben«, sagte sie. »Du hast Samuels verknöchertes Herz geknackt.«

»Sehr witzig!«, erwiderte ich, denn ich dachte, es wäre einer ihrer schrägen Scherze.

»Nein, du, im Ernst. Er redet am Telefon mit großer Hochachtung von dir und behauptet, du hättest ungeahnte Fähigkeiten. Deine Kochkünste kann er damit wohl nicht gemeint haben.«

Ich konnte mir denken, was er meinte. Irgendwann würde ich Nonna sicher erzählen, was ich im Haus ihres alten Verehrers erlebt hatte, aber nicht jetzt.

»Ich mag ihn auch«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. »Irgendwie.«

Obwohl ich wusste, dass Hendrik nicht gern telefonierte, wartete ich doch täglich auf einen Anruf von ihm. Was jedoch schließlich kam, war ein Päckchen mit einer Karte und einer CD. ›Les Sylphides‹, stand auf dem Cover.

»Ich hab ein Stück von Chopin für dich aufgenommen«, schrieb er. »Die Sylphiden sind weibliche Luftgeister; später wurde ein Frauenname daraus, der ›leichtfüßiges Mädchen‹ bedeutet. Jetzt weißt Du, woher Dein Vorname kommt. Es gibt ihn in verschiedener Form – Sylphe oder Sylphie oder Sylvie. Kein Name könnte besser zu dir passen, finde ich.«

Der Vergleich gefiel mir. Luftgeist, leichtfüßiges Mädchen. So hatte ich mich selbst nie gesehen. Natürlich hätte ich mir die CD am liebsten sofort angehört, doch im Haus gab es nur einen einzigen CD-Player, und der stand im Arbeitszimmer des Professors.

Ich nahm mir vor, ihn beim Mittagessen zu fragen, ob ich das Gerät ausleihen durfte. Ausgerechnet an diesem Tag aber erschien er nicht zur üblichen Zeit. Das wunderte mich, denn er war ein pünktlicher Mensch mit festen Gewohnheiten.

Im Laufe des Nachmittags fing ich an mir Sorgen zu machen. Womöglich hatte er einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten und war über seinem Schreibtisch zusammengesunken. Vielleicht brauchte er meine Hilfe. Allerdings konnte es auch sein, dass er einfach nur total in seine Arbeit vertieft war. Er konnte sehr ungnädig werden, wenn man ihn störte.

Leise schlich ich die Treppe hinauf. Im Flur hörte ich Gemurmel. Für einen Augenblick erschrak ich und dachte: Sie sind es wieder! Sie sind bei ihm im Arbeitszimmer … Dann erkannte ich im Näherkommen die Stimme des Professors.

Die Zimmertür war nur angelehnt. Der Geruch von verbrannten Kräutern hing in der Luft. Schon wollte ich umkehren und wieder nach unten gehen, weil ich der Meinung war, er würde telefonieren. Trotzdem bewegte ich mich nicht von der Stelle.



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